Das mutige Mädchen (Großenbrach)

Von der Stätte des einstigen Dionysiusklösterchens bei Kleinbrach ist die Sage bekannt, daß dort die Geister der Mönche umherirren und die vergrabenen Klosterschätze bewachen. Niemandem sei es zu raten, ihr stilles Reich zu stören oder gar sich ihrer Schätze zu bemächtigen; schwere Strafen wären unausbleiblich.

In einer Spinnstube zu Großenbrach unterhielten sich einst die Mädchen auch über Schauergeschichten und Gespenster. Eines von ihnen beteuerte seine Furchtlosigkeit und wollte

sie auch unter Beweis stellen. Es behauptete sogar, bei Nacht allein die nahe Ruine des Klösterchens zu betreten. Als Beweis für die Unerschrockenheit verlangten die Kameradinnen eine grüne Ofenkachel der „Ruine Gnisy“, wie man die sagenumwitterte Stätte im Volksmund scherzhaft nannte, vorzuzeigen.

Die mutige Maid machte ernst, nahm aber zu ihrem Schutz eine Schere, ein Zwirnknäuel und eine schwarze Katze mit. Ihre Kameradinnen begleiteten sie ein Stück des Weges. Das Mädchen betrat auch das Ruinengelände und brach, wenn auch mit zitternden Händen, eine grüne Kachel – das Corpus delicti – aus dem vermoosten Gemäuer. Gerade wollte es den so gefürchteten Ort verlassen, als eine tiefe, hohle Stimme ihm zurief: „Hättest du nicht die Kniffene-Knaffene (= Schere) bei dir, und nicht das Knäuel mit den vielen Kreuzen und nicht deine schwarze Katze, so hätte ich dir den Hals umgebrochen“.

Voller Entsetzen hastete das Mädchen in die Spinnstube zurück, zeigte die verlangte Kachel vor und eilte nach Hause. Seit diesem Erlebnis war das früher so frische und lebenslustige Mädchen still und einsilbig, wurde von Tag zu Tag blasser und kränkelte dahin. Noch im gleichen Jahr trug man es zu Grabe.

Für den Unterricht

Arbeitsblatt

Zur Sage "Das mutige Mädchen"

Quellennachweis und Anmerkungen

Lisiecki, Josef; Hrsg. Landkreis Bad Kissingen; 1982.

  • Vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus durch Entschließung Nr. A/11-12/3484/83 vom 29.03.1983 zum Gebrauch an Volksschulen lernmittelfrei zugelassen. Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit Quellenangabe gestattet.